IntegrART: Kunst kennt keine Grenzen
Zürich, 19. Mai 2015
Ein Gespräch zwischen Kulturvermittlung Schweiz und Isabella Spirig, Projektleitung TANZ - Migros-Genossenschafts-Bund, Initiantin und Projektleiterin von IntegrART
IntegrArt setzt sich für eine Erweiterung des Kulturbegriffs über die Grenzen der Norm hinaus ein. Was hat sie 2007 dazu bewogen, dieses Festival zu gründen?
Die Erfahrung, dass kreatives Arbeiten und Abläufe sich verändern, wenn Menschen "hors norme" am Prozess teilhaben. Die Prozesse verlaufen anders - sie fordern heraus, sie reiben, sie lassen einen verzweifeln und nach neuen Möglichkeiten suchen, sie verschieben Prioritäten, sie fordern Spielmöglichkeiten und neue Formen heraus - Innovation und Veränderung sind gefragt. Der Horizont des Denkens und Handelns wird erweitert und bereichert. Dies gilt für das kreative Arbeiten, wie auch für das Leben.
Wie ist es zur Verbindung der lokalen Festivals gekommen?
Anstatt ein eigenes Festival zu gründen, ergab es für das Migros-Kulturprozent mehr Sinn, die bereits bestehenden lokalen Initiativen zu unterstützen und zu vernetzen. Ich habe mit allen Festivalleitenden gesprochen und sie an einen Tisch gebeten. Sie kannten sich nur zum Teil und schätzten es neue Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen. Es war auch schnell klar, dass ein Zusammenlegen der Zeitperioden Synergien schafft, die für alle von Nutzen sind. Somit ist es möglich, internationale Compagnien auf Tournee zu bringen und ein breites Publikum anzusprechen. Mittlerweile tauschen sich die verschiedenen Festivalleiter im Rahmen dieses Netzwerk über Inhalte und Erfahrungen aus und können sich gegenseitig inspirieren.
Was verbindet die vier Festivals und wo liegen die Unterschiede?
Die vier Festivals haben alle eine eigene Identität - eine eigene Geschichte - eigene thematische Schwerpunkte. IntegrART verbindet sie und natürlich die gemeinsam Vision, dass darstellende Künste unter Mitwirkung von Kunstschaffenden mit und ohne Behinderung eine enorme Bereicherung der performativen Welt darstellt. Ausserdem glauben wir an die Inklusion von Kunstschaffenden mit einer Behinderung in Kunst und Gesellschaft.
Welche Entwicklung stellen Sie seit der Gründung von IntegrART fest?
Eine grosse Neugier und Offenheit gegenüber von Werken unter Mitwirkung von Künstlerinnen und Künstler mit und ohne einer Behinderung.
Gibt es mehr Partner, haben sich die Partner verändert?
Das Festival Okkupation! in Zürich gibt es im 2015 nicht mehr, dafür ist das Festival ORME in Lugano dazugekommen. Ausserdem haben die künstlerischen Leiter bei wildwuchs in Basel und bei DanseHabile in Genf gewechselt. Bei Direktionswechsel verändert sich in der Regel auch die künstlerische Ausrichtung.
Hat sich das das Publikum verändert? Inwiefern?
Ja, es ist grösser geworden. Während früher eher ein spezifisch interessiertes Publikum an die Festivals kam, also ein Publikum das in irgend einer Form einen Bezug zur Thematik Behinderung hatte, ist heutzutage das Publikum durchmischt, kulturell sehr gut informiert, neugierig und kritisch.
Hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Künstlern entwickelt oder verändert? Inwiefern?
Die Zusammenarbeit mit Künstlern verändert sich ständig und laufend - bei jeder Festivalausgabe haben wir es auch immer wieder mit anderen Künstlern zu tun - Kunstschaffende stehen nie still. Die Zusammenarbeit mit den Schweizer Künstlern hat sich insofern verändert, als sich sie Schweizer Ensembles, die da sind BewegGrund in Bern, DanseHabile in Genf, DanzAbile in Lugano, stets professionalisieren und emanzipieren. Das Theater HORA hat sich gar soweit emanzipiert so dass es zugunsten einer ausgedehnten Tourneetätigkeit auf das Festival Okkupation! in Zürich verzichtet.
Welches sind für Sie die wichtigen Etappenziele, die IntegrART bereits erreicht hat, oder noch erreichen möchte?
Die Frage nach der Professionalisierung von Künstlern mit einer Behinderung wurde neu definiert - heutzutage gilt als Profi wer regelmässig trainiert und regelmässig auf der Bühne steht. Früher musste man eine offizielle Berufsausbildung absolvieren, um als Profi anerkannt zu werden. Dies wiederum führt zur nächsten Frage: lassen Kunstschulen Menschen mit einer Behinderung studieren? Welche Tanzschule bildet ein Tänzer mit einer Behinderung aus? Diese Frage ist noch nicht geklärt - müsste aber in Zukunft positiv beantwortet werden können. IntegrART hat gemeinsam mit vielen wertvollen Partnern wichtige Fragen aufgeworfen, einige davon sind beantwortet andere noch offen... Etappenziele sind auch, wenn kulturelle Institutionen Gesuche von Kunstschaffenden mit einer Behinderung prüfen und sie nicht ängstlich an das Sozialdepartement abschieben. Etappenziele sind auch, wenn die Vorstellungen von einem breiten, offenen, kulturell interessierten und informierten Publikum besucht werden. Etappenziele sind auch, wenn die IntegrART-Symposien beim Zielpublikum auf ein grosses Interesse stossen, Zielpublikum: Künstler ohne eine Behinderung, Künstler mit einer Behinderung, Dramaturgen, Veranstalter, Kulturförderer, Journalisten. Etappenziele sind auch Publikationen: Theater der Zeit "Ästhetik versus Authentizität", 2012 Journal de l'adc Nr 66 - dossier "tous les corps sont dans ma nature", 2015. Ein Etappenziel ist auch, dass der Schweizer Nationalfonds einem Forschungsprojekt über "DisAbility on Stage" zugestimmt hat und IntegrART ein Projektpartner des Forschungsprojektes ist.
Mit welchen Formaten wird Kultur in den Festivals vermittelt? Welche Erfahrungen haben Sie mit den verschiedenen Formaten gemacht?
IntegrART richtet sich mit professionellen Tanzproduktionen, die auf Tournee gehen, an ein breites Publikum. IntegrART richtet sich mit einem Fachsymposium an ein Fachpublikum. Die vier Festivals haben ihrerseits verschiedene und variantenreiche Vermittlungsformate. Ein ganz Spannendes davon ist der "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen". Dies ist ein neues Format und ich bin gespannt, wie es sich beim Publikum bewährt.
Die Kulturelle Teilhabe steht in der Kulturbotschaft des Bundes 2016-2019 gross geschrieben. Was bedeutet dies für Ihr Projekt?
Das bedeutet für die Inklusion von Menschen mit einer Behinderung in der Gesellschaft und im kulturellen Leben viel! Für IntegrART bedeutet es eine gute Partnerschaft mit dem EBGB (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung), und es bedeutet, dass unseren Anliegen von Seiten des Bundes Gewicht verliehen wird.
Was sind Ihre langfristigen Erwartungen oder Wünsche an das Projekt IntegrART?
Das Ziel von IntegrART ist, sich abzuschaffen! Produktionen unter Mitwirkung und/oder Gestaltung von Künstlerinnen und Künstler mit einer Behinderung sollen in den allgemeinen Saisonprogrammen der Theaterhäuser und auf den grossen Sommer- Festivals programmiert werden. Das Theaterspektakel in Zürich macht dies seit Jahren mit grossem Erfolg.
Termine IntegrART 2015
- Community Arts Festival Bern: 27. - 31. Mai 2015
www.dampfzentrale.ch - Orme Festival Lugano : 28. - 31. Mai 2015
www.ormefestival.ch - Out oft he Box Biennale des Arts inclusifs: 1. - 7.6.2015 www.biennaleoutofthebox.ch
- Wildwuchs Basel: 4. - 14.6.2015
www.wildwuchs.ch - Symposium Der Tanz und die "Normalität": Musée d'ethnographie de Genève: 2.6.2015
www.integrart.ch