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8.2 Kritiken am Qualitätsmanagement in der Kulturvermittlung

Das Qualitätsmanagement ist ein Verfahren aus der Betriebswirtschaft, das in den 1990er Jahren in Europa vom Verwaltungsbereich übernommen wurde. Wird «Qualität» als wertender Begriff zur Beschreibung von Zweckangemessenheit und Güte inzwischen ganz selbstverständlich auf alle möglichen Prozesse – bis hin zur «Sterbequalität» – angewendet, war er bis vor etwa zwanzig Jahren noch hauptsächlich auf Produkte (Waren und Dienstleistungen) bezogen. Seine Ausbreitung kann als wachsende Tendenz zur Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche gedeutet werden. Ähnlich wie bei der  Kritik am Konzept der Zielgruppe muss daher auch hier die grundsätzliche Frage gestellt werden, ob ein Imperativ von «Qualität» in der Kulturvermittlung nicht impliziert, dass es sich bei ihr zwangsläufig um etwas Warenförmiges handelt. Dem gegenüber stünde ein Verständnis von Kulturvermittlung als eigenständiger kultureller Praxis, welche auf die Herstellung von Beziehungen, das Eröffnen von Handlungsräumen und die Hinterfragung und Veränderung von Verhältnissen setzt – und sich, ähnlich wie die Künste, die sie vermittelt, einem normativen Zugang zur Qualität entzieht.

Die Anforderungen an Einrichtungen der Kulturvermittlung, Qualitätsmanagement zu betreiben, sind bislang selten mit einer Erhöhung ihrer Ressourcen verbunden. Wie eine in Deutschland 2010 durchgeführte Bestandesaufnahme zu Qualitätsentwicklungsmassnahmen in der Kulturvermittlung zeigt, haben die Akteur_innen in den Einrichtungen, die formalisiertes Controlling betreiben, weniger Zeit für die inhaltliche, konzeptionelle und vermittlerische Arbeit ( BKJ 2010). Qualitätsmanagement kann auf diese Weise zu einer sinkenden «Qualität», zu einer Aushöhlung von Motivation und von Strukturen führen.

Durch die Definition von überprüfbaren Kriterien von aussen und durch die Koppelung der Messergebnisse an die Subventionen wird Kulturvermittlung auch inhaltlich beeinflusst. So beschreibt die Studie von 2010, dass die Anwendung gängiger Parameter der Qualitätsmessung in der Kulturvermittlung wie «[…] Projektorganisation, Zielgruppenpotenzial, Vernetzung, Öffentlichkeitswirkung, […], Nachhaltigkeit» zu einer schlechten Bewertung von experimentellen und ergebnisoffenen Projekten führen kann, weil deren offene Anlage wenig Daten zur Auswertung entlang dieser Kategorien bietet ( BKJ 2010). Umgekehrt besteht die Gefahr, dass durch eine vorauseilende Anpassungsleistung seitens der Vermittlungspraxis, durch ein Planen entlang solcher Parameter die Entwicklung neuer Konzepte behindert und stattdessen risikoarme Wege beschritten werden.

Zwar ist das Arbeits- und Forschungsfeld darum bemüht, mehrdimensionale Verfahren zur Qualitätsmessung in der Kulturvermittlung zu entwickeln. Dennoch zeichnet sich in der bisherigen Literatur ab, dass beispielsweise ein  reproduktives Verständnis von Vermittlung, die  Legitimation der Künste als Bildungsgut oder die  Zielgruppenorientierung den Bewertungskriterien als unhinterfragte Normen unterliegen. Kritisch-dekonstruktive Vermittlungsansätze oder solche, die auf eine Erweiterung der Institutionen selbst abzielen, befinden sich sozusagen ausserhalb des Messbereichs. Die Frage, wer jeweils die Macht hat, diese Parameter zu bestimmen, bleibt in der Diskussion um Qualitätsentwicklung in der Kulturvermittlung entsprechend zentral.