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2.2 Kritik des Zielgruppendenkens

Der Zugriff auf ein Instrument aus der Marktforschung weist den Kulturinstitutionen die Rolle eine_r Anbieter_in von Waren oder Dienstleistungen zu; die adressierten Nutzer_innen werden dabei zu Kund_innen beziehungsweise Konsument_innen. Neben der Auffassung, eine Kulturinstitution befinde sich auf einem Markt im Spiel von Angebot und Nachfrage, gibt es aber auch andere. Zum Beispiel ist es möglich, die Kulturinstitution als Kooperationspartnerin zu denken, oder als Ort der öffentlichen Debatte, der gerade nicht an Marktlogiken gebunden ist und deswegen über andere Freiheiten verfügt und mehr Risiken eingehen kann als ein Unternehmen. Die Nutzer_innen wiederum müssen nicht zwangsläufig Kund_innen oder Konsument_innen sein, sondern können auch als aktive Mitgestalter_innen und Diskussionspartner_innen verstanden werden. Eine starre Vermittlung im Sinne von «Wir produzieren – Sie konsumieren» würde dadurch aufgehoben oder zumindest relativiert. Solche Vorstellungen werden durch das Denken in Zielgruppen nicht verunmöglicht, aber auch nicht nahegelegt.

Eine weitere Kritik stammt aus der Marktforschung selbst. Hier wird darauf hingewiesen, dass Definitionen von Zielgruppen die Tendenz haben, konservativ und vereinfachend zu sein und hinter aktuellen gesellschaftlichen Dynamiken und Entwicklungen zurückzubleiben. Kulturinstitutionen verfügen in der Regel nicht über die Mittel, fortlaufend Marktanalysen zu betreiben und arbeiten mit unterkomplexen Definitionen von Zielgruppen. So meint die Adressierung «Familie» zum Beispiel die heterosexuelle Kleinfamilie, welche in pluralisierten Gesellschaften längst nicht der einzige, häufig noch nicht einmal der dominante Lebensstil ist. Oder die durch die Kategorie «Senior_innen» Adressierten wollen womöglich nicht auf diese Weise angesprochen werden, weil sie sich lieber in altersgemischten Gruppen mit ähnlichen Interessen und dem gleichen Bildungsgrad aufhalten.

Problematisch ist die Definition von Zielgruppen auch dann, wenn sie Zuschreibungen von Defiziten enthält. Dazu gehören die im Fachdiskurs der Kulturvermittlung häufig auftauchenden Kategorien «bildungsfern» oder «kulturfern». Solche Bezeichnungen setzen unhinterfragt voraus, dass geklärt ist, was «Bildung» und «Kultur» jeweils bedeuten, wer sie hat und wer sie nicht hat. Angebote für auf diese Weise definierte Zielgruppen laufen so Gefahr, die Ungleichheit, die durch sie eigentlich bekämpft werden soll, zu verstärken. Andererseits führt das schlichte Ignorieren ungleicher Voraussetzungen bei der Kulturnutzung zu weiteren Ausschlüssen von Benachteiligten. Hier zeigt sich ein Widerspruch, der nicht einfach aufzulösen ist.