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6.3 Legitimation: Erweiterung des Publikums auf alle Bevölkerungsschichten aus fiskalischer Verantwortung

Bei dem Argument, Kulturvermittlung sei aus fiskalischer Verantwortung zur Erweiterung des Kulturpublikums nötig, steht die Frage der Legitimation einer Elite-Kunst und -Kultur im Vordergrund. Es geht von der Annahme aus, dass durch Steuergelder finanzierte Kunstinstitutionen sich nur durch ein möglichst breites und heterogenes Publikum rechtfertigen können. Andernfalls würde die gesamte Steuergemeinschaft mit dem Interesse einiger weniger belastet. Diese Argumentation reicht bis in die 1960er Jahre zurück. Der bekannte Slogan «Kultur für Alle», der häufig mit dieser Legitimationsstrategie assoziiert wird, bezieht sich auf ein Buch mit gleichlautendem Titel des damaligen Frankfurter Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann aus dem Jahr 1979. Allerdings war Hoffmanns Forderung nicht auf das Zugänglichmachen der Hochkultur beschränkt, dies war nur eine wichtige Komponente. Daneben bestand sie darin, auch Praktiken und Produkte der Kultur von ländlichen und Arbeitermilieus – wie zum Beispiel das Taubenzüchten – als kulturelle Hervorbringungen zu begreifen. Er schlug vor, diese im Sinne kultureller Teilhabe genauso zu fördern und zu verbreiten wie die stärker von Besserverdienenden und formal höher Gebildeten frequentierten Angebote der Kulturinstitutionen. Damit ging es ihm um eine Auflösung oder zumindest die Infragestellung der Grenze zwischen «Hochkultur» und «Populärkultur» (Hoffmann 19979).

Gegen die Legitimation der Publikumserweiterung wird vorgebracht, dass die Forderung einer zahlenmässig nachweisbaren Verteilungsgerechtigkeit nicht legitim ist, da auch diejenigen, die Kulturangebote nicht aktiv wahrnehmen, von den Künsten als elementarem und unverzichtbarem Bestandteil der Gesellschaft profitieren. So wird beispielsweise auch die öffentliche Finanzierung von medizinischer Hochtechnologie nicht mit dem Argument, nur wenige würden von ihr profitieren, in Frage gestellt. Die Künste sind in diesem Sinn Spezialdomänen wie wissenschaftliche und technische Bereiche auch. Gegen das Argument, Hochkultur von Populärkultur nicht zu unterscheiden und die Ausübung und den Konsum von Kultur nach jeweiligen Interessen und Vorlieben zu fördern, wird eingewandt, dass in diesem Fall die Öffentlichkeit nicht mehr mit anspruchsvollen Formen und Inhalten herausgefordert würde, sondern dass Angebote einem unterstellten mehrheitlichen Geschmack in einer Art vorauseilendem Gehorsam entgegenkämen.