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6.2 Legitimation: Kulturvermittlung fördert die kognitive Leistungsfähigkeit und verschiedene Intelligenzen

Die durch Kulturvermittlung initiierte Beschäftigung mit den Künsten soll ideal für die Förderung kognitiver Leistungsfähigkeit wie auch von emotionaler, sozialer, bildlich-räumlicher oder körperlich-kinästhetischer Intelligenz sein. Vertreter_innnen dieses Arguments führen ins Feld, dass die heutige Informationsgesellschaft und besonders auch zukünftige Gesellschaften dynamischer und heterogener seien als die vorherigen. Deswegen seien auch die Inhalte und Formen des Lernens in schnellem Wandel begriffen. Konzepte wie lebenslanges und informelles Lernen seien daher für einen zeitgemässen Bildungsentwurf zentral. Aus dieser Perspektive ist Kulturvermittlung besonders gut geeignet, Menschen auf die Herausforderungen im  kognitiven Kapitalismus vorzubereiten. 1993 führten amerikanische Neurowissenschafter_innen eine Studie durch, die belegen sollte, dass das Hören der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart zu höheren Hirnleistungen, insbesondere beim räumlichen und mathematischen Vorstellungsvermögen führe – dem so genannten «Mozart Effekt» (Rauscher et al 1993). Eine zwischen 1992 und 1997 durchgeführte Langzeitstudie an Berliner Grundschulen nahm in Anspruch, die positive Wirkung des Musikunterrichts auf das soziale Verhalten der Kinder und auf ihre Konzentrationsfähigkeit nachzuweisen (Bastian 2002). Auch wenn Vergleichsstudien die Ergebnisse in beiden Fällen nicht bestätigen konnten und die Studien auch methodisch kritisiert wurden ( Jansen-Osmann 2006), liefern sie seither zentrale Argumente für die Förderung von Kulturvermittlung.

Der Bundesverband für Kulturelle Jugendbildung in Deutschland entwickelt seit 2005 mit dem  Kompetenznachweis Kultur ein Instrument zum Nachweis des in der ausserschulischen Kulturvermittlung erwerbbaren Wissens und Könnens. Die Kategorien, die soziale, kognitive, emotional-psychische und kreative Aspekte umfassen, übertreffen zahlenmässig noch die von François Matarasso 1997 veröffentlichten  50 social impacts of participation in the arts welche damals die englische Kulturförderung massgeblich in Richtung Kulturvermittlung beeinflussten (Matarasso 1997). Ein übersichtlicheres Argumentarium für positive Lerneffekte in der Kulturvermittlung liefern die vom Forschungsteam um Eilean Hooper Greenhill an der Universität Leicester entwickelten  Generic Learning Outcomes, denen zufolge Lernzuwächse in folgenden Bereichen nachzuweisen sind: Knowledge and Understanding/Skills/Attitudes and Values/Enjoyment, Inspiration and Creativity/Activity Behaviour and Progression. Als Instrument für die Anwendung in der Selbstevaluation von Kulturinstitutionen, insbesondere Museen und Bibliotheken, entwickelt, wurden auch die Generic Learning Outcomes in der Fachwelt kritisiert. Gerade weil die nachzuweisenden Lerneffekte eben «generic», also sehr allgemein formuliert seien, sei das Erhebungsinstrument für die Anwender_innen zwar einfach zu handhaben, aber die Ergebnisse aufgrund ihrer Allgemeinheit wenig aussagekräftig. Dennoch werden die Generic Learning Outcomes inzwischen europaweit in kulturellen Einrichtungen angewendet.

Hinsichtlich all dieser Ansätze werden immer wieder Zweifel geäussert, ob die Studien, welche die positiven Wirkungen der Beschäftigung mit den Künsten nachweisen, wirklich valide und nicht von selbsterfüllender Prophezeiung ( Mirza 2006). Entsprechend selten wird bei dieser Legitimation hinterfragt, wer überhaupt definiert, was aus wessen Perspektive eine «positive» Wirkung sei. Weiter kann als problematisch erachtet werden, dass zumindest die neurowissenschaftlichen Ansätze bislang dazu tendieren, konservative Konzepte von kanonisierter Hochkultur als Kunst absolut zu setzen – Schwangere sollen ihren Föten Mozart vorspielen, nicht etwa Lady Gaga. Im Zusammenhang mit diesen Kritiken schlagen Wissenschafter_innen vor, sich in der Argumentation weniger auf die sogenannten «Transfereffekte» der Kulturvermittlung zu konzentrieren, sondern den Erwerb von kunstbezogenen Kenntnissen und Fähigkeiten als Eigenwert anzuerkennen (Hetland et al. 2007).