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5.5 Transformative Funktion von Kulturvermittlung

Kulturvermittlung übernimmt zuweilen die Aufgabe, die herkömmliche Funktion einer Kulturinstitution zu erweitern und sie zum Beispiel als Akteurin und Werkzeug gesellschaftlicher Mitgestaltung einzusetzen. Ein Beispiel dafür ist das von der Serpentine Gallery in London initiierte und von der Vermittlerin und Künstlerin Janna Graham geleitete, seit 2009 existierende  Centre for Possible Studies. Es handelt sich um einen Ausstellungs- und Veranstaltungsraum in einer Gegend, die stark von  Gentrifizierung, einer ökonomischen Aufwertung und dadurch der Vertreibung angestammter Bevölkerungsschichten, betroffen ist. Das Centre for Possible Studies bietet als Vernetzungs- und Produktionsort Raum für künstlerische Praxis und verknüpft diese mit den Aktivitäten und Anliegen von lokalen Interessensgruppen. Diese kooperieren mit Künstler_innen, Geograf_innen und Sozialwissenschaftler_innen, wovon viele aus den Ländern stammen, aus denen auch ein Grossteil der Bewohner_innen des Stadtviertels eingewandert ist. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung mit der Zukunft des Ortes. Durch dieses Projekt positioniert sich die Serpentine Gallery aktiv gegen die Gentrifizierungsdynamik, die üblicherweise durch Kunstinstitutionen eher unterstützt oder beschleunigt wird. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom  Soho-Effekt.

Kulturinstitutionen werden in solchen Vermittlungsprojekten als veränderbare Organisationen begriffen, in denen die Mitgestaltung unterschiedlicher Öffentlichkeiten langfristig für die Relevanz der Institution notwendig ist und zu ihrer Erhaltung beiträgt. Allerdings weniger aus quantitativen Erwägungen heraus (wie bei der reproduktiven Funktion der Kulturvermittlung) als aufgrund der Anforderung, mit den sich verändernden Formen von Kulturproduktion in der Wissens- und Informationsgesellschaft nicht nur Schritt zu halten, sondern wegweisende Impulse zu setzen. Die mit der transformativen Funktion verbundenen Praktiken arbeiten gegen die hierarchische Unterscheidung von kuratorischer und künstlerischer Arbeit und Vermittlung. Grundlegend ist, dass sie die Funktionen der Institution in Zusammenarbeit mit dem Publikum nicht nur zur Diskussion stellen und in sie intervenieren (wie bei der dekonstruktiven Funktion), sondern sie verändern und erweitern.

Problematische Aspekte der transformativen Funktion sind die potentielle Instrumentalisierung von Beteiligten für die Profilierung der Institution und generell die Frage nach den Entscheidungshierarchien in Projekten mit dem Anspruch,  Kooperationen zwischen grossen Institutionen und Gruppen mit weniger symbolischer Macht auf Augenhöhe und als partnerschaftlichen Austausch zu gestalten.