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Marie-Hélène Boulanger

Kulturvermittlung oder die Geschichte einer besonderen Begegnung

Für Menschen, die nicht im Besitz der kulturellen Schlüssel sind, wirken die Türen unserer Einrichtungen schwer und imposant. Manchmal braucht es aber nur eine besondere Begegnung, eine erste Erfahrung mit einem Kunstobjekt, damit die Barrieren fallen. Der Blick ändert sich, und das kulturelle Abenteuer kann beginnen.

Es stellt sich die Frage, wie diese Begegnung zustande gebracht werden kann. Wie wird man zum Besucher oder Zuschauer? Allein scheint der erste Schritt zu gross … Und begleitet? In dieser Begleitung macht Kulturvermittlung Sinn, denn sie lädt dazu ein, sich auf Neues einzulassen, indem sie Vorbehalte und Vorurteile abbaut. Sie ermöglicht den Zugang zum Werk, der nicht über eine «Pädagogisierung» geschieht, sondern eher durch gewonnenes Vertrauen, das günstige Voraussetzungen für die Rezeption schafft.

Das Konzept der Kulturvermittlung fand erst vor Kurzem seinen Weg in den institutionellen Wortschatz, das Bestreben, die Kultur zu demokratisieren, ist aber nicht neu. Auch die Geschichte der Comédie de Genève ist seit ihren Ursprüngen von einer philanthropischen Ambition geprägt. 1913 wollten die vier Gründer, alles Mitglieder der Union pour l’Art Social, «ein grosses Publikum, das durch seine wirtschaftliche Situation von der künstlerischen Bewegung ferngehalten wird, in die Kunst einführen.» Hundert Jahre später setzt die Comédie ihr Engagement fort, indem sie Vermittlungsprojekte zuhanden der Zielgruppen entwickelt.

Seit der Saison 2009/2010 greift die Comédie auf «Kulturbeauftragte» zurück, um ihre Türen neuen Zuschauern mit dem unterschiedlichsten Hintergrund zu öffnen. Sie werden jeweils für eine Saison eingesetzt und laden zu jeder Aufführung zwei oder drei Personen aus ihrem Umfeld ein. In ihrer Funktion als Vermittler fördern sie die Begegnung mit dem Theater, erleichtern den Zugang zum Ort und lenken die Zuschauer bei ihrem künstlerischen Erlebnis, sei es das erste oder nicht. Seit Projektbeginn wurden auf diese Art über 600 Personen eingeladen und konnten so einer der Vorführungen der Comédie de Genève beiwohnen.

Marie-Hélène Boulanger ist Master in Kulturmanagement und war am Théâtre de Bourg-en-Bresse (Frankreich) als Beauftragte für Kulturvermittlung tätig. Seit Mai 2012 ist sie an der Comédie de Genève für die Publikumserweiterung zuständig.

Denise Felber

Warum Kulturvermittlung an der Schule?

Kulturvermittlung? Keine Kulturvermittlung?

Für die durchschnittliche Lehrperson stellt sich die Frage nicht – Kulturvermittlung an Schulen findet statt, aus Tradition. Zwar aus Begeisterung für Kunst und Kultur, meist aber ohne reflektiertes Argumentarium. Oft werden von kulturinteressierten, aber von der Komplexität der Sache überforderten Lehrer_innen die Vermittlungsprojekte ausgewählt, welche kostenfrei sind, mässigen Aufwand bedeuten und sich offenbar an der Schule irgendwie bewährt haben.

Relevante Fragen – Was wird im Projekt gemacht? Warum ist es notwendig? Welches sind die Zielsetzungen des Projekts? – können oft nicht beantwortet werden.

Partizipationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche werden kaum genutzt, die ohnehin knappen Ressourcen werden für Organisation und Finanzierung des Projekts aufgewendet. Zudem sind Lehrpersonen meist schlecht vernetzt: Sie engagieren sich als Vertreter_innen eines Unterrichtsfachs, einer Kunstsparte, (noch) nicht als Kulturbotschafterinnen und Kulturbotschafter mit persönlicher Positionierung gegenüber Kulturvermittlung. Und es fehlt an einem gemeinsamen Bildungsverständnis von Kulturvermittlung.

Doch nachhaltige Auseinandersetzung mit künstlerischen Denk- und Handlungsweisen fordert immer wieder heraus: In forschendem Lernen gilt es, sich unangenehmen Fragen und Zweifeln zu stellen.

Kulturvermittlung ist ein Muss für Schulen! Denn das neugierige Erforschen von Kultur und deren adäquate Vermittlung sind geradezu prädestiniert, nicht nur Schüler_innen, sondern auch Lehrer_innen weiterzubilden. Professionelle Lehrpersonen verstehen sich als Vermittlungsexperten_innen, welche ihre Arbeit in fragend-entwickelnder und kritisch-reflexiver Haltung überprüfen und so ihre Kompetenzen stets weiterentwickeln.

Kulturvermittlung fordert von Lehrpersonen genau diese offene, forschende Haltung: Die Lehrperson ist nicht mehr Aufbereiterin von zu lernendem Stoff, sondern Initiantin für entstehende Ideen, Beobachtungen, Wahrnehmungen, die es mit Schüler_innen zu vernetzen, auszutauschen, zu kommunizieren, umzusetzen und zu reflektieren gilt.

Damit die Lehrperson diese Rolle annehmen kann, muss sie bereit und in der Lage sein, ihren Routineblick zu hinterfragen, einen neuen Blick zu wagen, Selbstverständliches als Fragwürdiges wahrzunehmen und zum Forschungsgegenstand werden zu lassen. Erst dann ist experimentelles Vorgehen möglich, kann Neues entstehen, tritt nicht lediglich das ein, was erwartet wurde.

Die Auseinandersetzung mit Kunst als eine «Schule der Mehrsinnigkeit, Mehrdeutigkeit, des Umgangs mit Zwiespalt, mit Konflikten, auch mit unlösbaren Konflikten» trainiert Lehrpersonen für die Annäherung an die geforderte forschende Haltung, und: «Dafür gibt es keinen Ersatz.» (Adolf Muschg).

Denise Felber ist Fachbereichsverantwortliche Kunst und Schule, Institut für Weiterbildung, Pädagogische Hochschule PHBern.

Eszter Gyarmathy

Warum Kulturvermittlung?

Interessant an der Übersicht über die verschiedenen Rechtfertigungen für Kulturvermittlung ist der jeweils partielle Ansatz. Dieser zeigt, dass es nicht möglich ist, die Kulturvermittlung aus ihrem gesellschaftlichen und ökonomischen Kontext herauszuschälen oder sie in ihrer komplexen Einbettung erfassen zu wollen.

Augenfällig ist die Argumentation entlang von Machtstrukturen. Die Legitimationen erscheinen deshalb alle als ein Leistungsausweis gegenüber einem zahlenden Auftraggeber. Dessen Erwartungen werden in diesen Rechenschaftsberichten auch abgebildet. Geldgeber fordern Leistung. Die Leistungserbringer haben ihr Angebot möglicherweise selbst und nicht auf Bestellung definiert, trotzdem muss erbracht werden, was versprochen wurde. Diese «Systemkonformität» bestimmt die in der Übersicht angeführten Argumentationen.

Kulturvermittlung ist nicht gleich Kulturschaffen. Sie ist eine Meta-Kulturproduktion, sie erzählt mit anderen Mitteln, was andere geschaffen haben. Bezüglich ihrer Daseinsberechtigung vor den öffentlichen Geldern unterscheidet sie sich dennoch kaum vom gleichermassen geförderten Kulturschaffen. Auch dieses wird einer Legitimationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit unterworfen.

Öffentlich geförderte Kulturvermittlung und gewiss auch ein Teil des Kulturschaffens selbst haben die Funktion, von der Politik identifizierte Bedürfnisse der Gesellschaft abzudecken. Insofern sind sie als Dienstleistungen zu verstehen. Politik und Verwaltung wiederum rechtfertigen sich gegenüber ihren Kunden.

Und warum wünschen die Kundin und der Kunde Kulturvermittlung? Wahrscheinlich tun sie dieses nur wegen der Kultur, respektive der Wirkung von Kulturschaffen auf jede Einzelne und jeden Einzelnen.

In jeder hier angeführten Legitimation fehlt die Kunst, das Kunstwerk, die Künstlerin, der Mensch (c’est le regardeur qui fait l’œuvre), dabei gibt es diesen immer, wo Kunst ist. Der erschreckende Begriff des kognitiven Kapitalismus kann als Ausbeutung eben dieses rezipierenden Menschen gedeutet werden. Damit gesellt sich zur politischen Machtausübung jene des (Kulturvermittlungs-)Markts.

Warum also Kulturvermittlung? Zum Erhalt der künstlerischen Freiheit muss sich die öffentliche Kulturförderung dafür einsetzen, dass Kulturschaffen und dessen individuelle Wahrnehmung und Wertschätzung durch Einzelne nicht (oder nicht nur) entlang von Machtstrukturen oder aus wirtschaftlichen Zwängen stattfinden. Tun wir dies nicht, so stellen wir die künstlerische Freiheit zur Diskussion und mindern damit die Bedeutung von Kunst für unsere Gesellschaft.

Eszter Gyarmathy ist Delegierte für Kultur der Stadt Biel.

Raphaëlle Renken

I love Vermittlung

Zwei Gründe haben mich veranlasst, als 16-Jährige der Vermittlung (die ich zur Definition eines damals noch völlig unbekannten Berufs «Einführung in die Kunst» nannte) meine Liebe zu gestehen: zum einen die neu entdeckte Leidenschaft für Gegenwartskunst und der unbändige Wille, das Verständnis dafür zu wecken, zum anderen die unwiderstehliche Lust, die Türen der Museen zu öffnen, an denen ein Schild «Zutritt für die Öffentlichkeit verboten» prangte. Der Erklärungsdrang und das Anliegen, den Schleier zu lüften, sind geblieben, die Motivation ist heute aber eine andere: Ich will das Publikum zum aktiven, ja sogar kreativen Mitmachen bewegen.

Wem nützen die Bemühungen der kulturellen Einrichtungen, Kunst zu erhalten und auszustellen, wenn sie nicht an das Ziel geknüpft sind, den Besucher mit dem Exponat auf irgendeine Art zu reizen? Das ist Aufgabe des Vermittlers! Er soll wie Dr. Knock von Jules Romains dafür sorgen, dass es die Besucher kitzelt, kribbelt und kratzt. Vermittlung als Mittel, durch das Betrachten eines Werks oder eines Objekts Symptome auszulösen. Der Vermittler legt dabei einen unerschütterlichen Optimismus an den Tag: Niemand ist unsensibel und alles hat das Potenzial, die Sensibilität zu fördern. Im Gegensatz zum durchtriebenen Doktor geht es hier aber nicht darum, imaginäre Symptome hervorzurufen, um den Preis der Behandlung einzustecken, und auch nicht darum, an die Genesungskraft der Kunst zu glauben, denn von Kunst kann man nie genesen. Auch dafür sorgt der Vermittler.

Raphaëlle Renken ist seit 2001 als Beauftragte für Kulturvermittlung im Musée d’art et d’histoire in Genf tätig. Von 2003 bis 2009 hat sie parallel dazu im Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne einen Bereich für den Besucherempfang aufgebaut und geleitet. 2010 wurde sie von Waadtländer Verband für zeitgenössischen Tanz mit dem Entwurf und der Koordination einer Plattform für Tanzvermittlung für den Kanton Waadt beauftragt. Sie hält auch Vorträge zur Tanzgeschichte und zur Kunstkritik.

David Vuillaume

Vermittlung und Museen

Die Verwendung des heute in den Museen allgegenwärtigen Begriffs «Vermittlung» verdankt dem Kampf der Kulturvermittler und -vermittlerinnen für die Anerkennung ihres Berufs eine Menge.1 Zu den  22 Berufsprofilen, die vom internationalen Museumsrat ICOM als Bestandteil der Museumsarbeit erachtet werden, gehören ausdrücklich auch Fachpersonen für Bildung und Vermittlung in Museen. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass das Museum selbst ein Vermittlungsinstrument ist, da die Institution und somit alle, die für sie arbeiten, als Verbindungsglied zwischen verschiedenen Räumen und unterschiedlichen Interessen fungieren. Zwischen dem Hier und dem Dort, dem Heute und dem Gestern, dem Jetzt und dem Beständigen ist das Museum ein Ort der Konfrontation und der Verhandlung zwischen den Besuchern und Besucherinnen und den Exponaten, zwischen den Bürgern und Bürgerinnen und dem Bildungsgut.

Auch innerhalb der Institution sind Vermittlungsprozesse nötig. Es gilt als anerkannt, dass Museen «zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschaffen, bewahren, erforschen, bekannt machen und ausstellen».2 Konservierung, Forschung, Weiterentwicklung, Bildung, diese vier identitätsstiftenden Museumstätigkeiten schaffen eine Spannung, die museale Einrichtungen auszeichnet. Während sich das Museum bei der Forschung und der Konservierung tendenziell auf sich selbst konzentriert, öffnet es sich bei der Weiterentwicklung und der Ausstellung nach aussen. Diesen grundlegenden Widerspruch muss die Institution auszugleichen versuchen. Auch hier ist das Museum ein Vermittlungsinstrument zwischen Elitismus und Demokratisierung. Weitere Spannungsquellen, die mit den Funktionen, die Museen erfüllen möchten, einhergehen, fordern unterschiedliche Formen der Schlichtung, zum Beispiel zwischen Marketing und Pädagogik, Passivität und Aktion oder zwischen Hochkultur und Populärkultur, um nur binäre Optionen zu nennen.

Da sie auf Verhandlung und die Suche nach einem Gleichgewicht ausgerichtet ist, eignet sich die Vermittlung bestens für museale Einrichtungen, die fortlaufend verschiedene Welten aufeinanderprallen lassen und ein gewisses Mass an Harmonie zwischen unzähligen Ansichten erreichen müssen.

David Vuillaume ist Generalsekretär VMS & ICOM Schweiz

1 Zum Beispiel mediamus, Schweiz. Verband der Fachleute für Bildung und Vermittlung im Museum → http://www.mediamus.ch [15.2.2013].

2 Definition des Internationalen Museumsrats ICOM (Ethische Richtlinien, 2004, → http://www.museums.ch/standards/ethik [15.2.2013]. Weitere Definitionen von musealen Institutionen siehe Desvallées, 2011.

Bundesamt für Kultur, Sektion Kultur und Gesellschaft

Warum fördert der Bund die Kulturvermittlung?

Dieser Text gilt gleichermassen als Perspektivwechsel für 5. Wie wirkt Kulturvermittlung?

Es gibt viele gute Gründe, warum die öffentliche Hand die Kulturvermittlung fördern sollte. Die Argumente sind je nach Standpunkt ökonomischer, fiskalischer, pädagogischer, didaktischer, künstlerischer und gesellschaftlicher Art.

Für den Bund stehen gesellschaftliche Aspekte im Vordergrund. Der Gesetzgeber hat die Richtung vorgegeben, indem er das Ermöglichen und Erleichtern des Zugangs zur Kultur zu einem der Ziele der Kulturförderung des Bundes erklärt hat (Art.3 Bst. d KFG). Projekte, die in diesem Sinn wirken, werden vom Bunde bevorzugt unterstützt (Art.8 Bst. a KFG). Die Botschaft zum Kulturförderungsgesetz bringt die Förderung des Zugangs unmittelbar mit Kulturvermittlung in Zusammenhang (Erläuterungen zu Art. 8 KFG).

Die Betonung der Aspekte Partizipation und Inklusion erklärt sich aus der Bedeutung, die der Bundesrat der Kultur beimisst: «Kultur [ist] ein zentraler Faktor des politischen und gesellschaftlichen Lebens, ein wirkungsvolles Instrument zur Wahrung der sozialen Integration und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Aktive Kulturpolitik beschränkt sich daher nicht auf die Förderung des künstlerischen Schaffens und die Erhaltung des kulturellen Erbes. Sie zielt auf die Beteiligung möglichst aller Bevölkerungsgruppen am kulturellen Leben. […] Künste schärfen die Wahrnehmung und entwickeln das Bewusstsein. Es gibt keine bessere Schule des Betrachtens, der Aufmerksamkeit, des Differenzierens als Kunst. Genaues und kritisches Hinhören, Hinsehen, Mitdenken macht die Menschen aufmerksam, ausdrucks- und urteilsfähig. Sobald eine sinnliche Anschauung in emotionale oder intellektuelle Erkenntnis übergeht, wird sie gesamtgesellschaftlich bedeutsam. Der eigentliche Wert der Kultur liegt darin, dass sie dem Menschen ermöglicht, sich selbst und sein Umfeld zu verstehen und verständlich zu machen.» (Botschaft zur Finanzierung der Kultur 2012–2015)

Die Teilhabe eines breiten und vielfältigen Publikums ist für die Legitimation der Kulturförderung relevant: In den vergangenen Jahrzehnten ist das kulturelle Angebot in der Schweiz (wie auch in anderen Ländern) stark angestiegen. Das Publikumsinteresse hat damit nicht Schritt gehalten. Im Interesse der Nachhaltigkeit darf sich die Kulturförderung daher nicht auf die Subvention des Kulturbetriebs (Ausbau und Konsolidierung der Angebots) beschränken, sondern es sind auch Massnahmen zur Heranbildung künftiger Nutzer und Nutzinnen von Kunst und Kultur erforderlich.

Die wichtigsten Instrumente des Bundes für die Verbesserung des Zugangs zur Kultur in der Periode 2012–2015 sind Sprachenförderung, Förderung musikalischer Bildung, Leseförderung (Massnahmen des Bundesamtes für Kultur) sowie die Unterstützung von Kunstver­mittlungsprojekten (Massnahmen der Stiftung Pro Helvetia).

Die Sektion Kultur und Gesellschaft kümmert sich um Fragen der kulturellen Bildung und der kulturellen Teilhabe, namentlich in den Bereichen Sprachförderung, Leseförderung, musikalische Bildung, Laien- und Volkskultur.