Merkliste →
Text als PDF-Download ↓ Für Eilige

9.2 Herausforderungen bei der Vermittlung von Kulturvermittlung

Die Website eines Museums wirbt für die Vermittlungsangebote des Hauses. Zu sehen sind zwei Bilder. Das linke zeigt ein älteres Paar von hinten: Mann und Frau halten sich im Arm, haben die Köpfe zueinander geneigt und betrachten ein Gemälde an der Museumswand. Das Paar ist  weiss, schlank, schlicht aber edel gekleidet und sorgfältig frisiert. Der Lichteinfall verleiht den silbernen Haaren einen zusätzlichen Schimmer. Das Bild erzählt von Kultiviertheit, Beständigkeit, Nähe zwischen Menschen und Nähe der Menschen zur Kunst. Unter dem Bild steht: «Für Erwachsene». Das Bild daneben zeigt eine Frau im seitlichen Profil, sie sitzt alleine an einem Tisch in einem Raum mit Werkstattatmosphäre. Das Licht im Bild ist diffus, die Quelle wahrscheinlich Neonlicht. Sie ist korpulent, trägt ein Kopftuch und einen beigen Mantel. Ihr Gesicht zusammen mit der Kleidung lassen vermuten, dass sie aus der Türkei in das Land migriert ist. Die Sitzhaltung an dem zu niedrigen Tisch lässt sie zusätzlich gedrungen erscheinen. Sie ist dabei, eine Schachtel mit Bastelmaterial auszupacken, die an Kindergarten erinnert. Unter dem Bild steht: «Für besondere Menschen».

Das Gefüge von Text und Bild ist in diesem Fall nicht nur eine Ankündigung des Vermittlungsangebots. Es beinhaltet auch eine Erzählung darüber, wer im Museum selbstverständlich vorgesehen und wer darin unerwartet ist. Die von den Autor_innen der Website möglicherweise gut gemeinte Zuordnung der Frau im Mantel als «besonderer Mensch» sondert sie von den «Erwachsenen» ab. Würde unter ihrer Abbildung der Satz stehen: «Eine Kunstvermittlerin bei der Vorbereitung der Familienwerkstatt», hätte die Seite wiederum eine andere Bedeutung, sie spräche vom Interesse der Institution an der Diversifizierung ihres Personals. Das Beispiel illustriert anschaulich eine Schwierigkeit bei der Darstellung von Kulturvermittlung, welche Ankündigungen und Dokumentationen gleichermassen betrifft: In dem Moment, wo es um die Repräsentation verschiedener Öffentlichkeiten oder Interessensgruppen geht, erscheinen implizite Zuschreibungen und dominante Interpretationsweisen unvermeidlich.

Es gibt jedoch die Möglichkeit eines  bewussten Umgangs mit diesem Problem – zum Beispiel, indem die Dokumentation zusammen mit den darzustellenden Gruppen erarbeitet wird und die Auseinandersetzung mit den Zuschreibungen in der Darstellung selbst transparent gemacht wird.

Ein anderes Phänomen bei Darstellungen von Kulturvermittlung ist die Wiederholung immer gleicher Bilder, die über den Prozess und somit den eigentlichen Kern der Arbeit wenig aussagen. Lachende oder auch gelangweilte Kinder, die an Basteltischen sitzen, Gruppenfotos in Museums- oder Bühnenräumen, Menschen, die um eine Person herumstehen, während diese etwas erklärt: Die Bilder, die seit etwa 100 Jahren Kulturvermittlung dokumentieren, erzählen nur selten etwas von der sozialen Energie, der inhaltlichen Komplexität oder gar den interessanten Spannungsverhältnissen und Erkenntnisprozessen, die sich dabei ereignen.

Auf der praktischen Ebene kommt hinzu, dass aufgrund der meist knappen  Ressourcen in der Kulturvermittlung meist wenig Zeit und personelle Ressourcen für eine sorgfältige und einfallsreiche Dokumentation von Kulturvermittlung zur Verfügung stehen. So ist das imaginäre Archiv der Kulturvermittlung bisher eher fragmentarisch und lückenhaft – gerade auch im Vergleich zu den umfassenden Archiven der Kulturproduktion.