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6.1 Legitimation: Kulturvermittlung als Wirtschaftsfaktor

Im Jahr 2009 fand das  Europäische Jahr der Kreativität und Innovation statt. Länder der europäischen Union erhielten Fördermittel, um Projekte unter diesem Motto durchzuführen. Die auf der Website aufgeführte Kernbotschaft besagt: «Kreativität und Innovation tragen sowohl zu wirtschaftlichem Wohlstand als auch zum gesellschaftlichen und individuellen Wohlbefinden bei.» Einer der Botschafter dieser Initiative war der Ökonom Richard Florida, Autor des Buches «The Rise of the Creative Class» aus dem Jahr 2002, das wesentlich daran beteiligt war, die Figur «kreative_r Querdenker_in» als relevanten Wirtschafts- und Standortfaktor und damit als Schlüssel für den internationalen Wettbewerb ins Bewusstsein der Politiker_innen und der Stadtplaner_innen zu rücken (Florida 2002). Die Fördermittel des Europäischen Jahres für Kreativität und Innovation wurden mancherorts in Projekte der Kulturvermittlung investiert. Als Beispiel soll hier Österreich genannt werden. Der wichtigste Projektpartner der österreichischen Regierung in diesem Zusammenhang war die Organisation  Kulturkontakt Austria, die massgebliche Impulse im Feld der Kulturvermittlung setzt. Kulturkontakt Austria beteiligte sich mit dem Schüler_innenwettbewerb «Projekt Kreativität Europa» aktiv an der Initiative.

Einen weiteren Hinweis für die Wichtigkeit der ökonomischen Legitimation von Kulturvermittlung bildet das zentrale Lobbyingpapier für diesen Bereich, die  UNESCO Roadmap for Arts Education, die 2010 in Seoul, Südkorea, auf der zweiten World Conference on Arts Education verabschiedet und der Weltöffentlichkeit übergeben wurde. Darin heisst es: «21st Century societies are increasingly demanding workforces that are creative, flexible, adaptable and innovative and education systems need to evolve with these shifting conditions. Arts Education equips learners with these skills, enabling them to express themselves, critically evaluate the world around them, and actively engage in the various aspects of human existence. Arts Education is also a means of enabling nations to develop the human resources necessary to tap their valuable cultural capital. Drawing on these resources and capital is essential if countries wish to develop strong and sustainable cultural (creative) industries and enterprises. Such industries have the potential to play a key role in enhancing socio-economic development in many less-developed countries.»

Dieses Argumentarium für die Kulturvermittlung fokussiert vor allem auf ökonomische Vorteile. Neben der Förderung von Persönlichkeitsstrukturen, die für die wirtschaftliche Entwicklung förderlich erscheinen, betont es die Bedeutung der Kulturvermittlung für die Kreativwirtschaft. Wie schon zur Zeit der grossen Weltausstellungen, als der allgemeine Zeichenunterricht eingeführt wurde, wird die Entwicklung künstlerischer oder gestalterischer Fähigkeiten eines möglichst breiten Teils der Bevölkerung als Investition in die Zukunftsfähigkeit der Kulturindustrie und der Wirtschaft insgesamt verstanden. Weitere ökonomische Argumente für die Förderung von Kulturvermittlung sind die Aufwertung von Stadtteilen durch die Präsenz von Kulturschaffenden, der Beitrag der Kultur- und Kreativwirtschaft zum Bruttosozialprodukt und die der Auseinandersetzung mit den Künsten zugeschriebene  Haltungsänderung von Erwerbstätigen in Richtung mehr Flexibilität und Einfallsreichtum. Schliesslich trägt Kulturvermittlung dazu bei, zum einen Produzent_innen, zum anderen aber auch informierte und motivierte Konsument_innen zu bilden.

Kritiken an dieser Legitimation weisen darauf hin, dass sich das neu erwachte Interesse der Politik an Kulturvermittlung offenbar weniger darin begründet, Selbstbestimmung oder Urteilsfähigkeit im Umgang mit den Künsten zu fördern, sondern Menschen auszubilden, die aufgrund ihrer Leistungsbereitschaft, gepaart mit der Fähigkeit, Probleme auf kreative Weise zu lösen, dem Staat wirtschaftlich und sozial nicht zur Last fallen. Grundsätzlich kann die Auseinandersetzung mit den Künsten aber gerade gegenteilige Effekte erzielen. Sie kann ebenso gut zu Leistungsverweigerung, zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Leistungs- und Wettbewerbsprinzip und zur Motivation, alternative Lebensentwürfe zu denken, beitragen. Die Künste selbst können die Marktwirtschaft und ihre Effekte auch offenlegen und kritisieren. Darüber hinaus wird von Akteur_innen des künstlerischen und wissenschaftlichen Bereichs selbst kritisiert, dass die schlechten Arbeitsbedingungen, die sogenannte  Prekarisierung der meisten Künstler_innen und Kulturvermittler_innen trotz der Rede von der Wichtigkeit der Künste für die Ökonomie bestehen bleibt. (Raunig, Wuggenig 2007)